Politikverdrossenheit, aber warum? Studienergebnisse zu Nähe und Distanz von Politik und Bürgern

Politikverdrossenheit oder Politikmüdigkeit sind ein Vorwurf dieser Tage, welcher gerne gegenüber Politikern vorgebracht wird – insbesondere auf Europa-, Bundes- und Landesebene: „Man könne ja eh nichts tun …“ – „Die da oben machen doch, was sie wollen …“ – „Und die wirtschaften in ihre eigene Tasche“. Zwei gegenläufige Phänomene bei den vergangenen Wahlen oder Reaktionen der Wähler sind generell hier festzustellen:

Natürlich bedarf es weiterer tiefgründiger Analysen im Einzelfall. Denn die Frage ist komplexer, warum Menschen politikverdrossen und unzufrieden sind?

Interessente und aufschlussreiche Ergebnisse zu möglichen Ursachen liefert eine Studie des info-Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden. Die Wissenschaftler untersuchten in den neuen Bundesländern die Einspareffekte von Kreis- und Gemeindegebietsfusionen in den vergangen 20 Jahren. Ziel dieser Gebietsreformen war es, Abläufe in der öffentlichen Verwaltung effektiver, leistungsfähiger und durch die Bündelung von Kompetenzen auch bürgernäher und -freundlicher zu gestalten. Und natürlich ging es auch darum, sinkenden Einwohnerzahlen zu begegnen und damit Kosten zu sparen.

Die Studie des ifo-Instituts konnte nun kaum nennenswerte Kosteneinsparungen feststellen, da große fixe Kosten etwa im Bereich Soziales bleiben. „Bei einer Fusion spart man, zugespitzt gesagt, den Posten des Landrats und seines Fahrers.“ So die Wissenschaftler in der Frankfurter Allgemeinen am 28.09.2016.

Die politischen Kosten hingegen scheinen viel höher, wenn die Distanz zwischen Politik und Verwaltung einerseits und Bürgern anderseits zu groß wird. Kleinteilige wichtige Unterstützungsstrukturen auf Ortsebene gehen verloren, damit auch der gemeinschaftliche Zusammenhalt auf Ortsebene. Direkte Ansprechpartner – vom örtlichen Bürgerbüro bis hin zum persönlich bekannten politischen Vertreter etwa im Gemeinderat – werden weniger. An deren Stelle treten anonyme, zentrale Verwaltungs- und politischen Gremieneinheiten. Konkret hat dann etwa ein Ort keinen eigenen Gemeinderat mehr, sondern entsendet nur noch einige wenige Vertreter in ein überörtliches Gremium. Das Resultat daraus sind mangelnde Bindung der politischen Vertreter und das Gefühl der Bürger, vor Ort nicht gehört und mit Problem und Anliegen allein gelassen zu werden. Demokratiepolitisch bedenklich erscheint zudem, dass das dann Gewicht bzw. der Einfluss einer Wählerstimme deutlich sinkt – um bis zu 80 %. Damit werden die erwähnten politischen Kosten sogar noch genauer bezifferbar.

Und auch andersherum sinkt das Interesse, sich für ein politisches Wahlamt in großen Gebietseinheiten zur Verfügung zu stellen, „ebenso wie das politische Engagement, weil man denkt, die Dinge nicht mehr zu überblicken.“ So die Forscher.

Gewiss waren die Gebietsreformen in den neuen Bundesländern viel umfassender – Mecklenburg-Vorpommern besteht heute nur noch aus fünf Landkreisen – und die Gegebenheiten sind ganz andere als bei uns. Und auch wenn in Bayern die Gebietsreformen in den 1970er Jahren viel moderater verliefen und alles in allem heute positiv bewertet werden – sieht man (im Scherz) vielleicht von kleinen Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen Ober- und Unter-… ab –, so sind die Ergebnisse dennoch nicht ganz außer Acht zu lassen. Denn der Anspruch, möglichst nahe am Bürger sein zu wollen, ist hoch und herausfordernd für alle einerseits, die Politik betreiben. Auf der anderen Seite wächst auch bei uns das politische Engagement und die Bereitschaft dazu nicht in den Himmel.